Der Golem by Gustav Meyrink
Autor:Gustav Meyrink [Meyrink, Gustav]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-06T05:00:00+00:00
Angst
Ich hatte die Absicht, mir Mantel und Stock zu holen und in die kleine Wirtsstube »Zum alten Ungelt« essen zu gehen, wo allabendlich Zwakh, Vrieslander und Prokop bis spät in die Nacht beisammen saßen und einander verrückte Geschichten erzählten; aber kaum betrat ich mein Zimmer, da fiel der Vorsatz von mir ab, – wie wenn mir Hände ein Tuch oder sonst etwas, was ich am Leibe getragen, abgerissen hätten.
Es lag eine Spannung in der Luft, über die ich mir keine Rechenschaft geben konnte, die aber trotzdem vorhanden war wie etwas Greifbares und sich im Verlauf weniger Sekunden derart heftig auf mich übertrug, daß ich vor Unruhe anfangs kaum wußte, was ich zuerst tun sollte: Licht anzünden, hinter mir abschließen, mich niedersetzen oder auf und ab gehen.
Hatte sich jemand in meiner Abwesenheit eingeschlichen und versteckt? War's die Angst eines Menschen vor dem Gesehenwerden, die mich ansteckte? War Wassertrum vielleicht hier?
Ich griff hinter die Gardinen, öffnete den Schrank, tat einen Blick ins Nebenzimmer: – niemand.
Auch die Kassette stand unverrückt an ihrem Platz.
Ob es nicht am besten war, ich verbrannte die Briefe kurz entschlossen, um ein für allemal die Sorge um sie los zu sein?
Schon suchte ich nach dem Schlüssel in meiner Westentasche – aber mußte es denn jetzt geschehen? Es blieb mir doch Zeit genug bis morgen früh.
Erst Licht machen!
Ich konnte die Streichhölzer nicht finden.
War die Tür abgesperrt? – Ich ging ein paar Schritte zurück. Blieb wieder stehen.
Warum mit einem Male die Angst?
Ich wollte mir Vorwürfe machen, daß ich feig sei: – die Gedanken blieben stecken. Mitten im Satz.
Eine wahnwitzige Idee überfiel mich plötzlich: Rasch, rasch auf den Tisch steigen, einen Sessel packen und zu mir hinaufziehen und »dem« den Schädel damit von oben herab einschlagen, das da auf dem Boden herumkroch, – – wenn – wenn es in die Nähe kam.
»Es ist doch niemand hier,« sagte ich mir laut und ärgerlich vor, »hast du dich denn je im Leben gefürchtet?«
Es half nichts. Die Luft, die ich einatmete, wurde dünn und schneidend wie Äther.
Wenn ich irgend etwas gesehen hätte: das Gräßlichste, was man sich vorstellen kann, – im Nu wäre die Furcht von mir gewichen.
Es kam nichts.
Ich bohrte meine Augen in alle Winkel:
Nichts.
Überall lauter wohlbekannte Dinge: Möbel, Truhen, die Lampe, das Bild, die Wanduhr – leblose, alte, treue Freunde.
Ich hoffte, sie würden sich vor meinen Blicken verändern und mir Grund geben, eine Sinnestäuschung als Ursache für das würgende Angstgefühl in mir zu finden.
Auch das nicht. – Sie blieben ihrer Form starr getreu. Viel zu starr für das herrschende Halbdunkel, als daß es natürlich gewesen wäre.
»Sie stehen unter demselben Zwang wie du selbst«, fühlte ich. »Sie trauen sich nicht, auch nur die leiseste Bewegung zu machen.«
Warum tickt die Wanduhr nicht? –
Das Lauern ringsum trank jeden Laut.
Ich rüttelte am Tisch und wunderte mich, daß ich das Geräusch hören konnte.
Wenn doch wenigstens der Wind ums Haus pfiffe! – Nicht einmal das! Oder das Holz im Ofen aufknallen wollte: – das Feuer war erloschen.
Und immerwährend dasselbe entsetzliche Lauern in der Luft – pausenlos, lückenlos, wie das Rinnen von Wasser.
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